Eine erlebnisreiche Zeit „mitten im Herzen der Demokratie“
Hi, ich bin Nia und gehe in das Wipo Profil der Q2. 2023 habe ich das Nickeleit-Stipendium unserer Schule erhalten. Ich habe mich sehr darüber gefreut, denn Dank des Stipendiums konnte ich eines meiner Herzensprojekte verwirklichen: eine Hospitation bei einer Klimapolitikerin im Deutschen Bundestag, konkret bei der Bundestagsabgeordneten Dr. Nina Scheer in Berlin.
Frau Scheer ist Obfrau im Klima- und Energieausschuss sowie Klimasprecherin der SPD. Da sie sich schon seit Jahren für den Klimaschutz engagiert und sich als Vorstand der Hermann-Scheer-Stiftung für erneuerbare Energien einsetzt, habe ich mich gezielt bei ihrem Büro beworben.
Nach langer Planung und Unterkunftssuche war es dann am Montag, den 2. September, endlich soweit: mein erster Hospitationstag! Nach kurzem Frühstück in meiner temporären Wohnung mit Blick auf den Alex saß ich auch schon vorfreudig und auch etwas nervös in der S-Bahn auf dem Weg zum Büro.
Nach der Anmeldung an der Pforte musste ich dann erstmal durch einen Sicherheitscheck, der mich an die Sicherheitskontrollen an Flughäfen erinnerte. Der Büroleiter hat mir dann meinen „Arbeitsplatz“ für die nächsten zwei Wochen und das Bundestagsintranet gezeigt. Das Büroteam hat mich wirklich lieb empfangen, und alle waren viel lockerer drauf als ich erwartet hatte. Schnell war ich mit den Arbeitsabläufen vertraut und irrte täglich durch die unterirdischen Gänge des Bundestags. Spannend fand ich auch meinen Kollegen Ruben bei der Produktion von Social-Media-Beiträgen zu unterstützen und bei Videodrehs zu „assistieren“.
Ein tägliches Highlight war immer beim gemeinsamen Mittagessen mit FSJlerin Marlene, meinen anderen Kollegen sowie Mitarbeitern von anderen Büros in der Bundestags-Cafeteria zu plaudern und zu debattieren. Sehr sympathisch fand ich, dass wir uns dabei alle geduzt und auf „Augenhöhe“ diskutiert haben.
Am stärksten beeindruckt haben mich die politischen Veranstaltungen, an denen ich aktiv teilnehmen oder bei denen ich zuschauen durfte. Auch mein zweiter Hospitationstag ist mir in ganz besonderer Erinnerung geblieben: Da bin ich mit dem Leihfahrrad vom Bundestag quer durch Berlin-Mitte zum Willy-Brandt-Haus, dem Sitz der SPD-Bundeszentrale, geradelt. Denn dort fand der SPD-Klimadialog statt – bei 35 Grad Außentemperatur, Spätsommer-Hitzerekord in Berlin! Im Willy-Brandt-Haus habe ich dann auch Nina Scheer persönlich kennengelernt, die dort an einer von vielen spannenden Plenumsdiskussionen zum Thema sozialgerechte Energiewende teilnahm. Ich hatte auch das Glück nach ihrer Diskussionsrunde noch eine große Diskussion mit Kevin Kühnert (dem ehemaligen SPD-Generalsekretär) und Delara Burkhardt (Europaabgeordnete aus SH) mitzuerleben.
Am Donnerstag hatte ich dann meine erste Veranstaltung im Rahmen des SPD-Praktikum-Programms. Bei der Reichstagsführung wurde allen, die ein Praktikum bei der SPD machten, besonders interessante „Ecken“ im Bundestag gezeigt – wie der Andachtsraum mit Ritualgegenständen verschiedener Religionen. Dabei wurde uns auch die zahlreiche Kunst im Reichstagsgebäude erklärt. Überraschend bei dieser „Insider-Tour“ fand ich vor allem die vielen versteckten historischen Details , wie zum Beispiel die Wand-„Graffitis“ (kyrillische Inschriften) von Soldaten der Roten Armee als Spuren des Kampfes um das Reichstagsgebäude im April 1945.
Obwohl ich die nächsten Tage noch sehr oft durch die vielen verzweigten Gänge des Bundestags gelaufen bin, blieb für mich dabei immer dieses bewegende Gefühl in einem ganz besonderen, geschichtlich und politisch bedeutenden Gebäude zu sein.
Freitag war dann auch ein ganz besonderer Tag für mich, denn ich habe meinen eigenen Hausausweis erhalten. Von nun an konnte ich mich frei im Haus bewegen, ohne zig zeitaufwendige Sicherheitschecks durchlaufen zu müssen. Außerdem stand eine weitere Veranstaltung des „Prakti-Programms“ an: ein Gespräch mit der Wehrbeauftragten Eva Högl. Die „Szenerie“ bei diesem Gespräch war sehr speziell. Wir saßen in einem Ausschussraum, der sehr futuristisch wirkte. In der Mitte des Raums war ein „schwebender“ Bildschirmwürfel und vor uns Tische mit eingelassenen Mikrofonen, über die wir unsere Fragen stellen durften. Obwohl Verteidigung und Bundeswehr Themen sind, die bei mir eher zwiespältige Gefühle und ein gewisses Unbehagen auslösen, fand ich das Gespräch überraschend angenehm – und spannend! Meine Frage zur Wehrpflicht und die Fragen von den anderen, unter anderem zum zunehmenden Rechtsruck in Europa und dem deutschen Einsatz in Afghanistan, wurden alle sehr ausführlich beantwortet. Und Frau Högl schaffte es, eine (unerwartet) sehr offene und lockere Gesprächsatmosphäre zu schaffen.
Auch am Wochenende zog es mich wieder ins Reichstagsgebäude, denn am Samstag war dort Bürgerfest anlässlich des 75. Geburtstags des Deutschen Bundestags. Das Paul-Löbe-Haus (mit den ganzen Ausschuss- und Büroräumen) war total überlaufen, denn dort präsentierten sich die einzelnen Parteien werbewirksam den Bürgern und konkurrierten mit den verschiedensten – mehr oder weniger originellen – Werbeartikeln um die Wählergunst. Wegen den tropischen Temperaturen wurden auch kostenfreie Getränke, Frozen Joghurt, Slush- und Softeis verteilt. Lustig: Draußen spielte der Hamburger Shantychor und animierte das Publikum bei „Auf der Reeperbahn“ zum Schunkeln, während ein paar Ecken weiter stimmungsvoll Tango getanzt wurde.
Mein persönlich größtes Erlebnis an diesem Tag war aber, dass (erstmals in der Geschichte des Deutschen Bundestags) Besucher nicht nur auf die Zuschauertribünen, sondern – wie die Abgeordneten – in den Plenarsaal durften. Es war ein überwältigendes Gefühl, dort im Plenarsaal zu stehen, mitten „im Herzen der Demokratie“ – direkt vor dem Rednerpult und unter dem riesigen Bundesadler – und den Plenarsaal mal aus einer ganz anderen Perspektive zu erleben, sozusagen aus der Sicht der Bundesregierung.
Dienstag musste ich dann etwas früher aufstehen, denn ich durfte an einem parlamentarischen Frühstück zum Thema Haushaltsreformen teilnehmen. Viel gefrühstückt habe ich dort zwar nicht – weil ich das Treffen für die Social-Media-Accounts dokumentieren sollte – dafür konnte ich aber einen aufschlussreichen Vortrag und interessante Gäste erleben. Die Rede von Grünenpolitiker Felix Banaszak (momentaner Kandidat für den Grünenvorsitz) fand ich dabei besonders packend. Seine Worte zum Klimaschutz haben mich sehr bewegt.
Danach ging es spannend weiter, denn ich durfte von der Fraktionstribüne aus zuschauen, wie Finanzminister Christian Lindner den Haushalt vorstellte, verteidigte und wie „lebhaft“ die anderen Politiker darauf reagieren.
Das politische „Highlight“ meines Praktikums war schließlich die Bundestags-Generaldebatte, die ich am Mittwoch auf der Fraktionstribüne mitverfolgen konnte. Da am Tag zuvor die Migrationsgespräche zwischen CDU, CSU und der Ampel gescheitert waren, ging es hierbei kaum noch (wie geplant) um den Haushaltsentwurf, sondern überwiegend um die Asylpolitik. Die Stimmung war sehr aufgeheizt, und die vielen Zwischenrufe sowie das ganze Getuschel haben mich an die Stimmung in einem Klassenzimmer erinnert.
Es war jedenfalls sehr aufregend, die ganze Bundesregierung auf ihren Sitzen zu sehen (außer Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck, der an Corona erkrankt war) und Reden von bekannten Abgeordneten wie Friedrich Merz (Vorsitzender CDU & Kanzlerkandidat der CDU 2025) und den Fraktionsvorsitzenden der SPD sowie der Grünen live zu verfolgen. Ich konnte von jeder Partei mindestens eine Rede hören und somit einen breiten Eindruck gewinnen (nur bei der Rede der AfD hatte ich mich anderen Abgeordneten angeschlossen und demonstrativ den Saal verlassen).
Am Nachmittag hatte ich noch eine Veranstaltung mit dem Prakti-Programm: einen Besuch im Bundesfinanzministerium. Es war schön, die anderen wiederzusehen und mich mit ihnen über ihre bisherigen Erfahrungen auszutauschen. Wir durften zwar aus Sicherheitsgründen nur wenige Räume im Bundesfinanzministerium betreten, haben aber trotzdem viel über die Geschichte dieses Hauses erfahren und unter anderem auch den Matthias-Erzberger-Saal gesehen: Der Festsaal des 1935/36 ursprünglich von den Nationalsozialisten erbauten Reichsluftfahrtministeriums wurde 2011 nach dem 1921 ermordeten Politiker der Zentrums-Partei benannt. Zu DDR-Zeiten hatte in diesem Saal der damalige DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht den berühmten Satz gesagt: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“.
Auch auf Donnerstag hatte ich mich ganz besonders gefreut, denn das „Prakti“-Programm hatte für uns ein Treffen mit einer einflussreichen Politikerin arrangiert: mit Svenja Schulze, der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das Gespräch fand in einem der SPD-Fraktionssitzungsräume in einem der Ecktürme des Reichstagsgebäudes statt. Was für eine beeindruckende Kulisse! Frau Schulze war sehr nett und interessiert. Sie hat alle unsere Fragen sehr umfassend beantwortet und uns unter anderem das Lieferkettengesetz und die Situation zu China erläutert. Besonders interessant fand ich die Bedeutung von feministischer Außen- und Entwicklungspolitik.
Freitag war dann auch schon (leider) mein letzter Hospitationstag, aber eine besondere Veranstaltung hatte ich noch: Der Klima- und Energieausschuss, in dem Frau Scheer Obfrau ist, tagte außer der Reihe, denn die Vorsitzenden der Energie-Ausschüsse in den Parlamenten der US-Bundesstaaten waren zu Besuch. Ich fand es total spannend, den Austausch mitzuerleben und die Eindrücke der US-Senatoren zur deutschen Politik zu hören.
Nachmittags hieß es leider Abschied nehmen. Ich bedankte mich beim Team und bei Frau Scheer und sagte allen etwas traurig „Tschüss“. Dann musste ich auch schon zum Bahnhof eilen, um meinen Zug zurück nach Bad Oldesloe zu erwischen. Am Bahngleis hatte ich aber noch eine unerwartete Begegnung. Direkt neben mir entdeckte ich überraschend Lars Klingbeil, den Parteivorsitzenden der SPD. Ich nutzte die Gelegenheit, sprach mit ihm kurz über mein Praktikum, und wir machten ein Selfie. Das war ein schöner Abschluss einer erlebnisreichen Zeit.
Zurückblickend bin ich sehr dankbar dafür, dass mir die Hospitation durch das Nickeleit-Stipendium ermöglicht wurde. Ganz besonderen Dank gilt auch Nina Scheer und ihrem Team in Berlin (Markus, Ruben, Simon und Marlene) für diese tolle Zeit. Ich durfte ganz besondere Erfahrungen machen und die Abläufe innerhalb des Bundestags kennenlernen. Durch das Praktikum bin ich vielen interessanten Menschen begegnet, konnte unterschiedliche Sichtweisen kennenlernen und meinen politischen Horizont erweitern. Ich finde die Politik nun sogar noch spannender als zuvor und möchte künftig politisch noch aktiver werden.