TMS Theodor-Mommsen-Schule

Nonkrong in Kassel auf der Documenta

Indonesisch abhängen zwischen 1300 Kunstschaffenden aus aller Welt

nongkrong. Gemeinsam abhängen heißt das auf Indonesisch. Und es ist nicht unbedingt das, was der Europäer auf einer renommierten Kunstaustellung erwartet. Doch das Künstlerkollektiv ruangrupa – zum Kuratorium der fünfzehnten documenta erwählt – hat sich genau dieses Wort zum Grundsatz gelegt. nongkrong. Dabei Ideen sammeln, gemeinsam arbeiten, denken, schaffen – und eben manchmal auch genau das nicht tun. Einfach den Produktivitätsdrang unterdrücken – abhängen.

Der unkonventionelle Charakter der documenta wurde schon beim Spaziergang durch die Stadt deutlich, die an insgesamt 32 Standorten von Künstlerinnen und Künstlern des Globalen Südens bereichert wurde. ruangrupa hatte bewusst auf die Auswahl von Kunstschaffenden durch eine Jury des Kuratoriums verzichtet und stattdessen auf das plus-one-Prinzip gesetzt: die geladenen Kollektive durften ihrerseits Kollektive einladen, mit denen sie sich assoziierten oder bereits zusammengearbeitet hatten. Und so spannt die documenta fifteen ein breites Band um die Welt, entlang des Äquators trifft man auf Kunst aus Indonesien, Thailand, Bangladesch, Indien, Kenia, Kuba und unzähligen weiteren Ländern. Themen umfassten Ernährung, Kunstfreiheit, Nachhaltigkeit, aber auch den westlichen Chauvinismus als Bedrohung lokaler Kunst. Sieben Grundwerte legen den Charakter der documenta fifteen fest: Großzügigkeit, Humor, lokale Verankerung, Unabhängigkeit, Regeneration, Transparenz und Genügsamkeit. Gemeinsam sollen sie den Betrachtenden das lumbung-Konzept näherbringen. lumbung bedeutet Reisscheune – und um, in und durch diese Reisscheune vermittelt ruangrupa Kultur. In der Heimat des Kollektivs tragen die Bauern ihre Reisernte in einer gemeinsamen Scheune zusammen, der lumbung. Die Scheune führt kein Protokoll über den jeweiligen Ertrag der Bauern, auch wird man nicht für das Lagern in der lumbung bezahlt. Ist die Erntezeit vorüber wird der Reis in der Gemeinschaft geteilt, möglichst gerecht und ohne nach Ernteerfolg zu unterscheiden. So müssen sich auch Bauern, deren Felder von Überschwemmungen, Insekten oder anderen Plagen getroffen wurden keine Sorge um die Ernährung ihrer Familien machen. lumbung stemmt sich somit gegen die westliche – bereits unter den Kolonialmächten in Südostasien forcierte – Leistungsgesellschaft, in der das leistungsschwächere Individuum von der kalten Hand menschlicher Habgier ausgelesen und am nongkrong gehindert wird. Die Übersetzung des Prinzips in das documenta-Umfeld bedeutet für Künstlerinnen und Künstler, dass sie nicht wie bei vorhergegangenen documentas den Preis erwirtschaften, für den Werke bei folgenden Auktionen versteigert wurden. Stattdessen bedienen sich die Kollektive aus einem common pot, also einer finanziellen lumbung. Das so erhaltene Geld ist nicht zweckgebunden, kann also je nach Bedarf für soziales Engagement der Kollektive in ihrer Heimat, lokale Kunstförderung oder eben auch für das Zahlen der gestiegenen Mieten der Kollektive eingesetzt werden.

Dem Q1-Jahrgang wurde dieser Ansatz, zusammen mit vielen weiteren kuratorischen Revolutionen, auf einer Führung über die documenta am zweiten Tag der Reise verdeutlicht. Die Leitung übernahmen hierbei sobat-sobat – übersetzt Freundinnen und Freunde. Freundschaft als Vermittlungskonzept von hochkomplexer, bis in jeden Winkel bedeutungsgeladener Kunst – ein Novum, das die Schülerinnen und Schüler nicht weniger beeindruckt hat, als der lumbung-Gedanke, der zu mehreren Gelegenheiten bereits das TMS-Leben beeinflusst hat. Auch der Ehemaligenverein der TMS hat sich durch die finanzielle Förderung der Exkursion des lumbung würdig erwiesen, dafür vielen Dank!

                                                                       Simon

Q2 Schüler*innen auf dem gemeinsamen Spaziergang
Fast Fashion Installation „Return to sender” von The Nest Collective
Fridericianum, Säulengestaltung – Dan Perjovschi. Das Kernstück der Documenta, das ehemalige Ausstellungsgebäude hat mit Fridskul (Fridericianum als Schule) einen neuen Namen erhalten.
ruruHaus – Das Herz der Documenta, hier wir die lumbung-Praxis erfahrbar
Im Gemüsegarten von Britto ArtsTrust, ein indonesisches Künstlerkollektiv, welches sich mit Ernährungspolitik beschäftigt